Wenn die Schweden «Gotland» sagen, klingt das wie «Gottland». Wenn man nicht, wie wir, auf eigenem Kiel angesegelt kommt, kann man über «Gods Terminal» am Fährhafen von Visby einreisen. Im Yachthafen, der von sehr netten jungen Menschen am Laufen gehalten wird, herrscht die Protzerei. Gigantische Motorboote und fette Segelyachten. Wird Protzerei zu den Sünden gezählt? Sollte es vielleicht. Diese Boote scheinen die Aufgabe zu haben teuer auszusehen. Ästhetik spielt da nicht so eine Rolle. Aber leider sehe ich immer erst diese Ungetüme, bevor mein Blick auf die historische Kulisse von Visby fällt. Am Sonntag folgt dann auch ein Donnerwetter in Form eines Gewitters mit sintflutartigen Regenfällen.
In der Stadt, deren historischer Kern überschaubar ist, an jeder Ecke eine Kirche. 11 als Ruinen, vor langer Zeit zerstört und so stehen gelassen. Auf ganz Gotland, das knapp 180 km lang und etwa 50 km breit ist, gibt es über hundert Kirchen, bis auf wenige alle zwischen 1100 und 1350 gebaut. Auch das hat mit Reichtum zu tun. Von Gotland aus wurde im Mittelalter Handel im gesamten Ostseeraum getrieben. Das hat die Insel reich gemacht und das zeigte man damals damit, dass man eine Kirche baute und sie prächtig ausstatten und ausmalen ließ.
Dann kamen Überfälle, gegen die die Insel mit ihrer exponierten Lage schwer zu verteidigen war, Pestepidemien, Hungersnöte und Gotland wurde arm. Gespeist aus Griff Rhys Jones’ Beschreibung von Gotland in «To the Baltic with Bob» hatte ich mir eine karge Insel, von Steinmauern durchzogen und von Schafen abgegrast, vorgestellt. Die aus grauen Feldsteinen gebauten, ärmlichen Häuser dienen heute reichen Stockholmern als Feriendomizile, es gibt kaum noch Einheimische, dafür jede Menge Boutiquen, in denen geschmackvolle Sinnlosigkeiten verkauft werden. Schickimicki mit Niveau.
Ich glaube, es ist mir noch nie gelungen, irgendwo hinzufahren, ohne mir vorher ein Bild davon zu machen, wie es da aussieht. Das ist manchmal schade, denn wenn dann, wie bei uns im Yachthafen von Visby, so ein Vorurteil noch Nahrung bekommt, dauert es eine Weile, bis es mir gelingt, mich einfach meinen Eindrücken hinzugeben. Visby ist natürlich sehr touristisch, aber als wir die wenigen Hauptstraßen und -plätze verlassen, finden wir schöne, alte ruhige Gassen. Im Gotland-Museum gibt es wunderschöne Bildsteine aus vorchristlicher Zeit. Auch sonst ist die Ausstellung sehr gut gemacht und vermittelt das Bild einer seit der Steinzeit besiedelten Insel, die immer mit der ganzen Ostsee-Welt in Verbindung gestanden hat, sich aber auch oft gegen Begehrlichkeiten zur Wehr setzen musste und dabei nicht immer erfolgreich war.
Durch die Geschichten aus dem Museum neugierig geworden mieten wir uns am Montag ein Auto. Erstmal fahren wir ganz in den Norden, auf die Insel Färö. Vor einer Woche waren wir an der Nordküste von Färö entlang gesegelt. Dabei hatten wir durch das Fernglas seltsame Skulpturen am Strand stehen sehen. Jetzt stellen wir fest, dass es sich nicht um von Menschen geschaffene Kunst, sondern um Rauken handelt. Kalksteinsäulen, um die herum das Sedimentgestein vom Meer weggespült wurde, als der Meeresspiegel noch höher war. Bizzarre Formationen, in die man alle möglichen Figuren hineinsehen kann und in deren Umgebung man jede Menge kleiner und großer Fossilien entdeckt. Hauptsächlich Teile versteinerter Pflanzen (die wir nur deshalb erkennen, weil wir beeindruckende Exemplare gestern im Museum gesehen haben), manche riesengroß.
Danach fahren wir über Gotland. Die Orientierung ist einfach, wir fahren von Kirchturm zu Kirchturm. Manche der Kirchen schauen wir uns an. Besonders die in Dalhem ist beeindruckend. Sehr groß, prächtig ausgemalt, ein phantastischer Altar, sehr schöne bunte Glasfenster. Eine Kathedrale in einem Ort, der die Grenze vom Dorf zur Stadt nicht wirklich überschritten hat.
In der Nähe der Küste führt die Straße durch große Nadelwälder, die auf felsigem Grund wachsen. Im Inneren erinnert die Landschaft an Mecklenburg Vorpommern – Felder und Wälder und ab und zu ein Dorf. Einmal kommen wir an einem riesigen Kalktagebau vorbei. Hier wird Kalk zur Zementproduktion gewonnen. Gotland lebt also nicht nur vom Tourismus.
Dann nutzen wir die Gelegenheit, um uns noch einen kleinen Hafen anzuschauen, denn wir möchten aus Visby weg, aber Gotland noch nicht verlassen. Grisvärd ist ein entzückender Hafen, aber leider selbst für uns zu flach. In der Nähe gibt es noch Klintehamn und dort segeln wir am Dienstag hin. Das Sägewerk nebenan, in dem riesige Berge von Nadelholzstämmen verarbeitet werden, ist zwar den ganzen Tag zu hören, aber der kleine Fischerei- und Vereinshafen ist trotzdem sehr nett und entspannt. Es gibt auch einen Strand in der Nähe, an dem wir am Ende dann aber doch nicht baden, weil das flache Wasser durch die anhaltende Hitze sehr warm geworden ist und nicht gut riecht.
Eigentlich wollte ich zwei Nächte bleiben, um eine Arbeit zu erledigen, aber die Wettervorhersage verheißt abnehmenden und drehenden Wind und so verlassen wir Gotland doch am nächsten Morgen.
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