In drei Wochen rund 650 sm gesegelt. Bilder und Vorurteile im Kielwasser gelassen, die eigentlich der Generation der Kriegskinder, die meine Eltern waren, gehörten. Wie „der Russe“ ist und wie es „im Ostblock“ zugeht, das umgab mich meine ganze Kindheit hindurch so selbstverständlich, dass es eine Schicht in meinem Bewusstsein gebildet hat, die ich mit dem Verstand nicht mehr erreichte, als ich alt genug war, selber zu denken.
Ich hatte mir vorgestellt, dass es interessant sein würde nach Kaliningrad zu segeln, hatte Bücher über Königsberg und sein Ende gelesen. Aber ich hatte nicht erwartet, dass es schön sein würde, dass wir fröhlichen, warmherzigen Menschen begegnen und viele leckere Dinge zu essen bekommen würden. Lieber „Seerolf“ (ein polnischer Stegnachbar in Hel), du wirst diese Zeilen sicher nicht lesen, aber beim Anblick der Auswahl in einem Kaliningrader Supermarkt würden dir die Tränen kommen – vor Neid. Und du würdest dich schämen erzählt zu haben, dass sie in Kaliningrad nichts mehr zu essen hätten.
Kaliningrad ist keine düstere Plattenbaustadt, in der sich graue Ex-Sowjetmenschen durch ihren trübseligen Alltag schleppen. Kaliningrad ist eine ziemlich junge und lebendige Stadt mit vielen schönen, manchmal etwas heruntergekommenen Ecken, aber auch Shoppingmalls, in denen man eine Sonnenbrille braucht, um vor lauter Geglitzer überhaupt etwas zu sehen.
Noch auf keiner Reise wurde sich so um uns gekümmert. Am Gemüsestand auf dem Zentralmarkt sind Verkäuferin und diverse Kundinnen eifrig bemüht, sich mit mir, die ich kein Russisch spreche, zu verständigen, während mir eine ältere Dame, die neben mir steht, die schönsten Paprikaschoten aus dem Kasten sucht. Der Taxifahrer, der mich spätabends im Regen zur Fishboat-Marina fährt, mag mich nicht aussteigen lassen, weil es hier am Industriehafen so dunkel und verlassen aussieht. Aber da kommt schon Michail, der Wachmann und macht das Tor auf und der Taxifahrer ist beruhigt. Man lässt jemanden, der fremd ist und die Sprache nicht kann, nicht einfach so stehen.
Eine große Freude war es, Thoralf und Elena kennen zu lernen und von ihnen herumgeführt zu werden. Sie haben uns viel gezeigt und vermittelt, was uns sonst verborgen geblieben wäre.
Eine ganz besondere Erfahrung: Noch einmal lesen zu lernen. Wie ein Kind buchstabierte ich alles, was mir vor die Augen kam und freute mich, wenn ich ein Wort herausgekriegt hatte.
Seglerisch habe ich den Eindruck, es würde uns jedes Jahr ein bisschen mehr aufgetischt. Sind wir letztes Jahr noch vorwiegend bei moderaten Winden unterwegs gewesen, hatten wir es in diesem Jahr nicht selten mit 5 bis 6 Windstärken und den entsprechenden Wellen zu tun.
Was mir noch nicht gelungen ist: Bei viel Wind auf dem schlingernden Schiff in eine Normalität hineinzufinden.