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Hookerboat-Segeln in Westirland – eine Infektionsgeschichte

Eigentlich ging es um etwas ganz anderes: Es war der Sommer 1991 und ich hatte einen Schauspielvertrag mit der Landesbühne Sachsen-Anhalt in der Tasche. Ich, die in den letzten 10 Jahren zur eingefleischten Westberlinerin geworden war, sollte in wenigen Wochen in die Ostprovinz ziehen. Spannend, aber auch ein bisschen beängstigend. Bevor es soweit war, wollte ich nochmal nach Westen, ganz nach Westen, an den Westrand Europas. In Irland am Strand stehen, aufs Meer schauen und wissen, da ist jetzt nichts mehr bis Amerika. Per Anhalter war ich mit meinem damaligen Freund unterwegs, um diesen Plan in die Tat umzusetzen. Es war der 16. Juli, der Tag des Heiligen Mac Dara, des Schutzheiligen der Fischer und Seeleute von Connemara, der auf der Oileán Mhac Dara (Mac Daras Island) nicht weit von Carna in Connemara als Einsiedler gelebt hatte. Die Ruinen einer Kirche und einer Grabstelle auf dem Inselchen zeugen von ihm.

Von all dem hatten wir noch keine Ahnung, als wir an der Landstraße standen und den Daumen ‚raushielten. Ein Typ, dessen Name so ähnlich klang wie Miho (mit einer irischen Schreibweise versuche ich mich erst garnicht)  hielt an, um uns mitzunehmen. Wir kamen ins Erzählen und es stellte sich heraus, dass er auf dem Weg nach Carna zum Fest des Schutzheiligen war. Im Anschluss an eine Messe auf der Insel findet jedes Jahr eine Regatta von traditionellen Booten –  „Galway-Hooker“ genannt – statt. Und Miho besaß so ein Hooker-boat, einen Nachbau zwar, aber immerhin.

Wir ließen uns gerne überreden mitzukommen. Es war ein richtiges Dorffest. Ein kleiner Jahrmarkt am Ufer, fröhliche Musik und aufgekratzte Stimmung. Als wir ankamen, war die Messe für Mac Dara gerade vorbei. In kleinen Booten kamen die Leute von der Oileán Mhac Dara zurück. Weil sie ein Stück vor dem Ufer aus den Booten steigen mussten, waren die Sonntagshosen der Männer alle nass bis zu den Waden, als sie an Land kamen und sich um die Bierstände scharten.

Miho verabschiedete sich. Er musste nach seinem Boot sehen und unter den Einheimischen eine Crew für die Regatta zusammentrommeln. Wir holten uns ein Bier und mischten uns unter die Leute auf dem Festplatz, von denen dieser oder jener wissen wollte, woher wir kamen und wie wir auf ihr Fest geraten waren. Plötzlich stand Miho wieder vor uns. Wenn seine Crew nicht noch Leute mitbrächte, könnten wir mit auf sein Boot. Ich konnte es nicht fassen. Schon auf dieses Fest eingeladen zu sein, war ein Ereignis und jetzt bei der Regatta dabei sein zu dürfen, einer Regatta auf dem Atlantik!

Wir waren dabei und es war einfach unglaublich. Ich war noch nie auf einem Segelboot gewesen, geschweige denn auf so einem schönen Holzboot. Eine Handvoll alter Männer mit wettergefurchten Gesichtern segelte das Boot zusammen mit Miho. Viel Geschrei und Gefluche, alles auf Gälisch. Da wurde nichts verschenkt und einmal kam es sogar zu einer Kollision an einer Wendetonne. Ich hatte keine Ahnung vom Regattasegeln und bemühte mich vor allem, nicht im Weg zu sein. Aber ich genoss den Wind, die Wellen und die Aufregung und ich wollte segeln lernen. Leider gibt es in Berlin keinen Atlantik. Dass ein See ein guter Ort ist, um mit dem Segeln anzufangen, wie Miho sagte, kann ich heute bestätigen. Damals wollte ich mich mit einem Binnengewässer garnicht erst abgeben.

Es folgten Jahre, in denen in meinem Leben viel passierte. Für Segeln war da kein Platz, aber der Funke glühte weiter und 6 Jahre nach diesen denkwürdigen Stunden auf dem Atlantik saß ich in einem Flying Cruiser auf dem Wannsee und versuchte zu verstehen, warum der Wind nie aus der Richtung kam, in der ich ihn vermutet hatte.

Am Ende wurden wir übrigens Dritter. Ohne die Kollision hätte es vielleicht sogar für den Sieg gereicht. „I’m heading for the Cup“ sagte Miho und schenkte uns die Trophäe, die einen Fuß aus Connemara-Marmor hatte. Obendrein wurden wir als „Crew“ von Mihos Hooker-boat zu den Parties eingeladen, die den krönenden Abschluss von Mac Daras Tag bildeten und so lange dauerten, dass die Bauern unter den Gästen anschließend nicht ins Bett, sondern in den Stall gingen, um die Kühe zu melken.

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