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Öland – die Königsinsel

Neben Gotland gibt es, so halb südwestlich versetzt, noch die Insel Öland. Auf dem Weg nach Lettland sind wir bereits die halbe Nacht an der Ostküste von Öland vorbei gesegelt, sodass uns die Insel schon ein wenig wie eine alte Bekannte vorkommt. An der Nordspitze gibt es eine kleine Bucht mit einem Hafen am Ende. Eventuell kann man hier auch ankern. Weitere Hafeninformationen haben wir nicht. Um Öland fahren wir wieder nach Seekarten aus Deutschland und diese haben nur eine ganz kleine Auswahl an Häfen im dazugehörigen Handbuch. Nabbellund, so heißt der Hafen, ist nicht mit dabei. Der Kartenmassstab ist jetzt wieder doppelt so groß wie bei den schwedischen Schärenkarten. Die Durchfahrt sieht auf der Karte auch super schmal aus, ist aber ausgetonnt. Wie wir bei den ersten Tonnen ankommen, ist alles sehr großzügig breit und die Tonnen stehen Spalier wie auf einer Landebahn die Lichter. Hier hätte ich auch eine Fähre rein bugsieren können, wenn ich eine Fähre fahren könnte. Der Hafen ist ein kleiner Fischreihafen mit ein paar Gästeplätzen und gegenüber den meisten anderen schwedischen Häfen eher leer. An der Fichereipier liegt nur noch ein Segelboot aus Berlin, das wir auch schon im Visbyer Hafen gesehen haben. An den weiter innen liegenden Holzsteg trauen wir uns nicht ran. Beim Anlegen fing das Echolot an zu piepen und nach „Steine-Schubsen“ war uns heute nicht zumute. Das Anlegemanöver ist dann auch so richtig misslungen, weil Annette nicht auf die sehr hoch liegende Betonpier gekommen ist und eine Böe die Nase so lange zur Seite gedrückt hat, bis wir am Heck eines Fischerkahns hängen geblieben sind. Also sind wir über den Fischerkahn gekrabbelt und haben Rith mit der ganz langen Bugleine wieder an den ausgeguckten Liegeplatz zurückgezottelt. Alles halb so peinlich, war ja keiner da der es gesehen hat. Beim anschließenden Baden konnte ich dann sehen, dass das Echolot nur vom Seegras irritiert wurde und bis zum Holzsteg gut drei Meter Tiefe vorhanden sind.

Außer ein paar hübschen Ferienhäusern und ganz vielen Kühen, die in einer Art Urwald grasen, gibt es in Nabellund nichts. Der Hafen war offensichtlich mal Fähranleger. Direkt vor der Pier verbreitert sich die Straße auf sechs Spuren, wobei vier Spuren als Aufstellfläche für die Fähre dienen. Dazu noch die Abfertigungshäuschen, Schranken und Zäune. Aber alles tot. Nur Kuhgemuh und ein paar Kinder die mit ihren Rädern zum Baden in Richtung Hafen fahren.

Öland ist eine Insel, auf der es freizeittechnisch alles gibt. Seichte Sandstrände, tiefe Steinbrüche, grüner, dichter Wald, moderne Kunst, klassisches Handwerk, eisenzeitliche Dörfer, Wikingergräber, Golfplätze, Bogenschießen und den Sommersitz der königlichen Hoheiten – Schloss Borgholm neben dem Palast Solliden. Am 14.Juli gabs dann noch den ganz großen Empfang auf Solliden zu Ehren des Geburtstags der Kronprinzessin Victoria. Das alles reicht, um mindestens einmal die ganzen Ferien auf Öland zu verbringen. Außer Solliden als weißen Küstenflecken und einem Millitärboot davor, das träge seine Kreis fuhr, haben wir von all dem kaum etwas gesehen. Meine Impressionen stammen alle aus dem schönen Prospekt „Öland – Die Königsinsel“, auf dem vorne ein Lamm vor Leuchtturm drauf ist und die Seiten mit glücklichen Kühen und Ferienfamilien gefüllt sind.

Der zweite Hafen auf Öland ist Byxelkrog. Im Hafenhandbuch steht „touristisch gut ausgebauter Hafen“. Das ist er auch – in jeder Hinsicht, mit mindestens sechs verschiedenen Gaststätten und Kneipen, einer kompletten kleinen Einkaufsstraße aus roten Schwedenhütten in denen Nippes verkauft wird, Fahrradverleih und so weiter. Bei der Einfahrt in den Hafen haben wir etwas gesehen, dass aussieht wie eine Fasssauna auf einer Plattform, die ca. 200 m vor dem Strand im Meer dümpelt. Um nachzusehen was es ist sind wir dann mal hingeschwommen. Es ist eine Fasssaune auf einer Plattform. War aber kalt und abgeschlossen. Die Idee finde ich gut, sollten wir bei uns im Verein auch haben.

Auf unserer weiteren Fahrt, vorbei an der Westküste Ölands sind wir lieber die Häfen am Festland angelaufen. Jetzt wurden nur noch Häfen ausgesucht, von denen wir keine weiteren Informationen hatten, in der Hoffnung, dass es anderen auch so geht und diese Häfen erst gar nicht anlaufen. Der Erste war Skäggenäs. Ein kleiner Vereinshafen, in dem wir die einzigen Gastlieger waren. Unsere Hafengebühr haben wir am Abend im Umschlag einfach in den Briefkasten gesteckt. Toiletten und Duschen konnten vom angrenzenden Camperplatz mitbenutzt werden. Strom und Wasser, alles am Steg. Ansonsten absolute Ruhe. An der Außenseite der Steinmole gibt es ein Brett mit Handlauf und eine kleine provisorische Badeplattform. Am nächsten Morgen kam noch der Bootsnachbar vorbei und freute sich seine Deutschkenntnisse anzuwenden.

Er erzählte, dass er seit über 40 Jahren in diesem Gebiet segelt und bereits sein Vater hier ein eifriger Segler war. In dem Moment fiel Annette noch ein, dass wir unsere letzten Schwedenkronen in den Umschlag mit dem Hafengeld gesteckt hatten und beim nächsten Hafen vielleicht wieder nur bar bezahlt werden könnte. Also den netten Nachbarn nach einem Geldautomaten gefragt, und er: „das ist ganz weit weg“. Aber kein Problem, er hat ja sein Auto da und kann uns, wenn wir wollen, zum Automaten und zurück fahren. Annette ist dann mit John los, wobei sie noch an Johns Haus und dem Haus vom Sohn vorbeigefahren sind und so weiter.

Bei auffrischendem Wind geht es dann gegen Mittag weiter nach Süden. Der Wind ist zwar wieder gegenan, aber so, dass wie mit ein paar Kreuzschlägen gut durch den Kalmarsund und unter der Kalmarsundbrücke durchkommen. Das Fahrwasser ist eng und an den Seiten steinig aber übersichtlich ausgetonnt, sodass auch ohne elektronische Karten mit einem guten Gefühl gesegelt werden kann. D.h. einer steuert und der andere sucht Seezeichen, Landmarken und komische Stellen im Wasser. Da kommt auch bei kurzen Strecken keine Langeweile auf. Die meisten Boote, die mit uns durch das Nadelöhr unter der Brücke durchfahren, gehen in den Hafen Kalmar. Das ist für uns keine Option – der Hafen steht im Handbuch. Nach der Brücke treffen wir noch ein holländisches Plattbodenschiff, ungefähr von unserer Größe, das sich bei den fünf Windstärken erstaunlich senkrecht hält. Noch schnell ein paar kitschige Fotos mit Plattbodenschiff und Schlossfassde im Abendlicht gemacht, in der Hoffnung, dass wir mit den Bildern den Holländern eine Freude machen können falls wir den gleichen Hafen anlaufen. Vielleicht geht es ihnen so wie uns. Schöne Bilder vom eigenen Schiff in Fahrt sind eher selten. Aber vielleicht ändert sich das im Zeitalter der Drohnen. Für nächstes Jahr ist so ein Teil im Hinterkopf schon mal budgetiert. Aber zurück zu den Holländern. Die drehen ab und gehen scheinbar in einen anderen kleinen Hafen.

Wir haben uns Ekenäs als Ziel ausgesucht. Vom Hafen wir wissen nur, dass es eine ausgetonnte Ansteuerung gibt und suchen in den Wellen die erste Tonne zwischen den Steinen. Ohne eine genaue Orientierung trauen wir uns nicht weiter ans Ufer. Dummerweise ist es das Westufer und wir sehen genau in die untergehende Sonne, die sich in den Wellen wie in einer Discokugel spiegelt. Dann auf einmal ist im Fernglas für einen kurzen Moment eine kleine Tonne zu sehen und wir finden den Eingang. Etwas Verwirrung gibt es noch, da in der Hafeneinfahrt ein Betonsteg quer liegt. Gefühlt würde ich gerne rechts daran vorbeifahren, links daneben gibt es noch ein paar Tonnen deren Richtung und Funktion wir nicht so richtig nachvollziehen können. Bei dem großen Maßstab unserer Karte sind diese Details nicht mehr dargestellt. Aber wenn sich schon jemand die Mühe gemacht hat die Tonnen zu legen können wir einfach mal da lang fahren. Weiter hinten gibt es noch ein paar Stege wo schöne kleine Holzsegelboote liegen. Am liebsten würde ich ja auch dazwischen, aber überall ragen schon große Steine aus dem Wasser. Wie wir an den eben noch unklaren Tonnen sind, ist die Perspektive wieder anders. Es gibt nur diesen einen Weg am Betonponton vorbei. Der andere wäre ein Holzweg gewesen oder besser gesagt mit Steinen gepflastert. Wir sind wieder die einzigen Gäste im Hafen. Der von einem alten Tabakspeicher, dem Vereinsheim und einer Werft mit historischen Segelbooten eingefasst wird. Wir machen noch einen Spaziergang durch den Miniort. Am nächsten Tag geht es weiter nach Kristianopel, ist zwar im Handbuch, soll aber soooo schön sein. Kristanopel ist auch eine kleiner schöner Hafen. An der Einfahrt wird jeder vom Hafenmeister persönlich in Empfang genommen und bekommt einen Platz zugewiesen. Wir kommen an den Steg mit kleinen deutschen Booten. Zu Skäggenäs, unserem letzten Stopp, wiedermal das absolute Kontrastprogramm. Im Hafen ist gerade Hafenfest. Alles ist voller Menschen, eine ABBA-Coverband donnert die Schlager unserer Eltern über die Mole, an den Ständen gibt es Tombola und Elchuhren.

Von hier aus ist der Rückweg geplant. Getankt wird nicht mehr. Bei den schwedischen Dieselpreisen mit über 2€/Liter müssen die letzten 30 Liter reichen. Wind soll es ja geben.

Am Abend kommen dann auch noch die Holländer in den Hafen. Mit ihrer „Woest maar kalm“ sind sie das interessanteste Boot im Hafen. Nach kurzem Schwätzchen, Fotoübergabe und Dankeschön haben wir uns dann noch auf ein Bier am Abend an Bord der „Rith“ verabredet. Allzu spät ist es dann aber doch nicht mehr geworden. Die Holländer sind gegen 5.00Uhr morgens aus dem Hafen und wir ca. zwei Stunden später auch los.

„Gottland“

Wenn die Schweden «Gotland» sagen, klingt das wie «Gottland». Wenn man nicht, wie wir, auf eigenem Kiel angesegelt kommt, kann man über «Gods Terminal» am Fährhafen von Visby einreisen. Im Yachthafen, der von sehr netten jungen Menschen am Laufen gehalten wird, herrscht die Protzerei. Gigantische Motorboote und fette Segelyachten. Wird Protzerei zu den Sünden gezählt? Sollte es vielleicht. Diese Boote scheinen die Aufgabe zu haben teuer auszusehen. Ästhetik spielt da nicht so eine Rolle. Aber leider sehe ich immer erst diese Ungetüme, bevor mein Blick auf die historische Kulisse von Visby fällt. Am Sonntag folgt dann auch ein Donnerwetter in Form eines Gewitters mit sintflutartigen Regenfällen.

In der Stadt, deren historischer Kern überschaubar ist, an jeder Ecke eine Kirche. 11 als Ruinen, vor langer Zeit zerstört und so stehen gelassen. Auf ganz Gotland, das knapp 180 km lang und etwa 50 km breit ist, gibt es über hundert Kirchen, bis auf wenige alle zwischen 1100 und 1350 gebaut. Auch das hat mit Reichtum zu tun. Von Gotland aus wurde im Mittelalter Handel im gesamten Ostseeraum getrieben. Das hat die Insel reich gemacht und das zeigte man damals damit, dass man eine Kirche baute und sie prächtig ausstatten und ausmalen ließ. 

Dann kamen Überfälle, gegen die die Insel mit ihrer exponierten Lage schwer zu verteidigen war, Pestepidemien, Hungersnöte und Gotland wurde arm. Gespeist aus Griff Rhys Jones’ Beschreibung von Gotland in «To the Baltic with Bob» hatte ich mir eine karge Insel, von Steinmauern durchzogen und von Schafen abgegrast, vorgestellt. Die aus grauen Feldsteinen gebauten, ärmlichen Häuser dienen heute reichen Stockholmern als Feriendomizile, es gibt kaum noch Einheimische, dafür jede Menge Boutiquen, in denen geschmackvolle Sinnlosigkeiten verkauft werden. Schickimicki mit Niveau. 

Ich glaube, es ist mir noch nie gelungen, irgendwo hinzufahren, ohne mir vorher ein Bild davon zu machen, wie es da aussieht. Das ist manchmal schade, denn wenn dann, wie bei uns im Yachthafen von Visby, so ein Vorurteil noch Nahrung bekommt, dauert es eine Weile, bis es mir gelingt, mich einfach meinen Eindrücken hinzugeben. Visby ist natürlich sehr touristisch, aber als wir die wenigen Hauptstraßen und -plätze verlassen, finden wir schöne, alte ruhige Gassen. Im Gotland-Museum gibt es wunderschöne Bildsteine aus vorchristlicher Zeit. Auch sonst ist die Ausstellung sehr gut gemacht und vermittelt das Bild einer seit der Steinzeit besiedelten Insel, die immer mit der ganzen Ostsee-Welt in Verbindung gestanden hat, sich aber auch oft gegen Begehrlichkeiten zur Wehr setzen musste und dabei nicht immer erfolgreich war. 

Durch die Geschichten aus dem Museum neugierig geworden mieten wir uns am Montag ein Auto. Erstmal fahren wir ganz in den Norden, auf die Insel Färö. Vor einer Woche waren wir an der Nordküste von Färö entlang gesegelt. Dabei hatten wir durch das Fernglas seltsame Skulpturen am Strand stehen sehen. Jetzt stellen wir fest, dass es sich nicht um von Menschen geschaffene Kunst, sondern um Rauken handelt. Kalksteinsäulen, um die herum das Sedimentgestein vom Meer weggespült wurde, als der Meeresspiegel noch höher war. Bizzarre Formationen, in die man alle möglichen Figuren hineinsehen kann und in deren Umgebung man jede Menge kleiner und großer Fossilien entdeckt. Hauptsächlich Teile versteinerter Pflanzen (die wir nur deshalb erkennen, weil wir beeindruckende Exemplare gestern im Museum gesehen haben), manche riesengroß. 

Danach fahren wir über Gotland. Die Orientierung ist einfach, wir fahren von Kirchturm zu Kirchturm. Manche der Kirchen schauen wir uns an. Besonders die in Dalhem ist beeindruckend. Sehr groß, prächtig ausgemalt, ein phantastischer Altar, sehr schöne bunte Glasfenster. Eine Kathedrale in einem Ort, der die Grenze vom Dorf zur Stadt nicht wirklich überschritten hat. 

In der Nähe der Küste führt die Straße durch große Nadelwälder, die auf felsigem Grund wachsen. Im Inneren erinnert die Landschaft an Mecklenburg Vorpommern – Felder und Wälder und ab und zu ein Dorf. Einmal kommen wir an einem riesigen Kalktagebau vorbei. Hier wird Kalk zur Zementproduktion gewonnen. Gotland lebt also nicht nur vom Tourismus. 

Dann nutzen wir die Gelegenheit, um uns noch einen kleinen Hafen anzuschauen, denn wir möchten aus Visby weg, aber Gotland noch nicht verlassen. Grisvärd ist ein entzückender Hafen, aber leider selbst für uns zu flach. In der Nähe gibt es noch Klintehamn und dort segeln wir am Dienstag hin. Das Sägewerk nebenan, in dem riesige Berge von Nadelholzstämmen verarbeitet werden, ist zwar den ganzen Tag zu hören, aber der kleine Fischerei- und Vereinshafen ist trotzdem sehr nett und entspannt. Es gibt auch einen Strand in der Nähe, an dem wir am Ende dann aber doch nicht baden, weil das flache Wasser durch die anhaltende Hitze sehr warm geworden ist und nicht gut riecht. 

Eigentlich wollte ich zwei Nächte bleiben, um eine Arbeit zu erledigen, aber die Wettervorhersage verheißt abnehmenden und drehenden Wind und so verlassen wir Gotland doch am nächsten Morgen.

Schärenkontrast – Gotland oder in Visby steppt der Bär

Leander ist, wie geplant, nach einer Woche wieder von Bord gegangen und nach Berlin zurückgeflogen. Wir verlassen wehmütig die Schären und wenden uns dem dritten großen Ziel der Reise zu – Gotland. Alle Jahre, die wir Richtung Osten auf der Ostsee unterwegs waren, wollte ich auch mal Gotland besuchen. Aufgrund der beschränkten Urlaubszeit war Gotland auf eigenem Kiel bisher nicht erreichbar. Diesmal klappt es, Gotland liegt voraus, die Windrichtung passt, kaum Welle, zum Nachmittag soll der Wind zunehmen bis Windstärke sechs. Für die gut 80 Seemeilen haben wir uns auf eine Nachtfahrt eingestellt und wollen erst am Morgen in den unbekannten Hafen einfahren. Gegen 9.00 Uhr zirkeln wir uns durch die letzten Steinhaufen der Außenschären und können wieder ohne permanentes Kartenstudium relaxt segeln. Anfangs noch mit Genua, dann wird der Wind stärker, Genua wird gegen Fock getauscht, bis auch noch ein Reff ins Großsegel gebunden werden muss. Nach und nach baut sich eine Welle auf, die von schräg hinten kommt, aber nicht bremst. So rauschen wir dann mit fünf bis sieben Knoten Visby entgegen. Die voraussichtliche Ankunftszeit verschiebt sich von den geplanten Morgenstunden auf Mitternacht. Ein weinig nervig ist, dass wir parallel mit der Fährweg der Hochgeschwindigskeitsfähre fahren. Diese kommen mit ca. 30 Knoten angebraust und selbst mit AIS ist es schwer auszumachen, in welche Richtung man am besten ausweicht. Das widerholt sich alle drei Stunden.

Kurz vor dem Ziel gibt es dann noch eine Überraschung, die eigentlich gar keine ist. Philippe hat es uns gesagt, Leander hat es heute noch mal am Telefon gesagt und wir haben es doch vergessen – Mondfinsternis. Annette findet den Mond irgendwie seltsam heute Nacht. Nachdem sich die letzten Wolken verzogen haben ist die Nacht sternenklar und der Mond irgendwie anders. Was folgt ist ein wundervolles Wiedererleuchten des Mondes. Erst mit einem ganz kleinen Punkt an der linken Seite und dann eine beständig zunehmende Sichel auf einer plastisch wirkenden Mondkugel. So fahren wir dem hell erleuchtem Visby zu. Um uns die schwarze See mit kurzen kreuzenden Hackwellen, die auch schon mal an die drei Meter Wellenhöhe schaffen. Böiger Wind mit Stärke fünf und über uns dieser friedliche große runde Mond, der immer heller wird.

In dem ganzen Lichtermeer ist der Hafen schwer auszumachen. Letztendlich finden wir den Eingang und fahren kurz nach einer der Hochgeschwindigkeitsfähren auch ein. Nur wo ist der Anleger für Sportboote. Überall können wir nur Wellenbrecher und die riesige Fähre sehen, bis wir mitkriegen, am Heck der Fähre wo die Schrauben quirlen und blubbern ist noch ein Loch in der Hafenmauer, wo es weitergeht. Dort steht auch schon ein netter Herr mit Taschenlampe und weist uns einen Platz an. Er hatte uns schon seit einer Stunde beobachtet und gewartet. Nach einem kleinen Absackerwiskey kriechen wir um halb drei in unsere Kojen. Die Bässe der Diskomusik von der anderen Hafenseite werden vom Unterbewusstsein ausgeblendet. Am nächsten Morgen wollen wir uns die Stadt ansehen. Vorher jedoch erstmal im Hafenbüro anmelden. Visby ist, wie schon vermutet, der teuerste Hafen auf dieser Reise. Bemessen wird nach Bootsbreite und mit 33€ pro Nacht sind wir dabei. Jedoch ohne Dusche, Strom, Waschmaschine, was in anderen Häfen, wenn vorhanden, inklusive war. Internet gibt es hier nicht. Auch nicht für Geld.

Visby als Stadt hat eine tolle historische Substanz. Beginnend vom frühen Mittelalter mit einer zum Großteil noch vorhandenen Stadtmauer, diversen Kirchenruinen über kleine Holzhäuser und alles was die Jahrhunderte dazu gefügt haben. Visby ist aber auch eine Touristadt mit allem Schickimicki und sehr gut besucht. Als wir zum Hafen zurückkommen, ist die Party schon wieder voll im Gange. Irgendwo hinter den Toilettenhäusern und dem Hafenmeisterbüro dröhnen die Bässe. Bestimmt mehr als 300m und gegen den Wind kommen hier immer noch über 80dB an (gemessen mit dem Handy). Eigentlich wollten wir zwei Tage hier bleiben. Jetzt suchen wir, mit Ohrstöpseln in den Ohren, gerade den nächsten Hafen.

Kleiner Nachtrag: Ich habe mal meine Ohrstöpsel rausgezogen und bin immer dem Krach nach. Es nennt sich „the withe party“ und ist eine kommerzielle Bedröhnung, wo ca. 300 Schweden, alle in weißen Klamotten, weiß geränderten Sonnenbrillen, zwischen weißen Fähnchen und Luftballons und hacke voll, rumhopsen. Das sieht nicht so aus als ob hier bis zum Fernsehabendprogramm Schluss ist.

Kleiner Nachtrag zum kleinen Nachtrag: Die Party war um 18.OOUhr schlagartig zuende. Danach ging es noch auf zwei Jachten weiter.  Am nächsten Tag war aber wieder Ruhe. Wir sind letztendlich drei Tage geblieben, wobei wir uns am dritten Tag ein Auto gemietet haben und kreuz und quer über die Insel gegurkt sind. Das ist auf alle Fälle zu empfehlen, da viele der alten Kirchen und sonstigen Sehenswürdigkeiten im Inneren der Insel liegen und die Entfernungen einfach zu groß sind. Gotland ist die zweitgrößte Insel in der Ostsee. Die ländlichen Nebenstraßen sind so breit wie ein PKW und so kommen wir auch in Gegenden, die nicht vom Tourismus dominiert werden.

Schärenseligkeit

Einen Tag nehmen wir uns, nachdem Leander angekommen ist, um das wunderbare Vasa-Museum in Stockholm zu besuchen, dann kehren wir dem Yachthafentrubel den Rücken. Obwohl es sich diesmal immerhin um den «Königlich-Schwedischen-Segelclub in Saltsjöbaden»  (eine Bahnstunde vom Stockholmer Zentrum entfernt) handelt. Es ist auch wirklich ausgesprochen nett hier, aber königlich hin oder her, wir haben zwei Ankerplätze in den Schären kennen gelernt und wollen unbedingt mehr davon. 

In der Woche, die Leander bei uns ist, segeln wir zwischen den inneren und den äußeren Schären, mal entspannt in breiten Fjorden, mal mit starrem Blick auf die Positionsangaben des Außenfunkgeräts und dem Finger auf der Karte, um ja keinen Stein zu übersehen. Ausgetonnte Fahrwasser gibt es nur dort, wo Großschifffahrt verkehrt. Es kann auch nicht neben jedem Stein, der nur knapp über oder knapp unter der Wasseroberfläche liegt, ein Warnzeichen stehen, dazu sind es einfach zu viele.

Ein schwedischer Segler, der neben uns am Felsen in der Nordbucht von Nämdö liegt, erzählt, dass er auf einer Insel in der Nähe aufgewachsen sei und dass vor 10 Jahren hier nur wenige Boote unterwegs gewesen seien. Dann kam die Navigation mithilfe von GPS und elektronischen Seekarten. Jetzt kann ich auf einem Bildschirm sehen, wo sich mein Boot befindet und wie ich steuern muss, um den Inseln, Inselchen, Steinhaufen und Solitärfelsen auszuweichen und sicher mein Ziel zu erreichen. 

Wir sind noch mit der guten alten Seekarte und entsprechend viel Rätselraten und Herzklopfen unterwegs. Aber wenn wir dann in eine Bucht hineingefunden haben und an einem Liegeplatz vor Heckanker mit der Nase an einer der steil ins Wasser abfallenden Klippen liegen, werden wir mit der herrlichsten Sommerferienidylle belohnt. Baden, Schlauchboot fahren, durch den felsigen Wald streifen, in der Hängematte liegen und lesen und am Abend mit einem Glas Wein in der Plicht sitzen, die Abendsonne genießen und je nach Liegeplatz den Sonnenuntergang oder die Landschaft bewundern – oder beides.

Auf Bullerö, in den Außenschären, wandern wir einen Pfad entlang, den man genau so auch in den Alpen finden könnte, nur dass es das wirkliche Meer ist, über das wir schauen, als wir den höchsten Punkt der Insel erreicht haben und kein steinernes.
Als wir unsere Ankerbucht am nächsten Morgen verlassen, beachten wir nicht, auf welchem Weg wir hineingekommen sind. Ich stehe zwar am Bug und schaue nach vorne, sehe aber nur Algenbüschel und hoffe noch für einen winzigen Moment, dass sie nichts anderes sein mögen, als Algenbüschel, da gibt es auch schon einen Schlag und ich fliege ein Stückchen Richtung Vorstag. Verbunden ist dieser plötzliche Stopp mit einem hässlichen Knirschen, das mir noch tagelang in den Ohren klingt: Die Algenbüschel verbergen dicke Steine, mit denen Rith gerade heftig zusammengestoßen ist. Ein Schock! Erstmal aus der Bucht hier raus, diesmal auf dem richtigen Weg, und an der nächsten Ecke anhalten, um zu sehen, was passiert ist. Wasser kommt nirgends herein. Das ist schonmal gut. Peter taucht und findet eine Schramme im Blei, es scheint aber nichts verzogen oder verbogen. Gutes altes Stahlschiff und gute alte Langkielerin. Phil, der schon länger in diesem Gebiet segelt, sagt, er kennt keinen, der nicht irgendwann schon einmal auf einen Stein gerauscht wäre. Dann war das also sozusagen die «Schärentaufe». Trotzdem navigieren wir heute mit besonderem Respekt durch diese Welt aus Hunderten von Inseln, die so schön sind und eine solche Vielfalt von Ankerplätzen und Segelmöglichkeiten bieten, dass ein Segler-Leben kaum auszureichen scheint, um sie alle zu besuchen. 

Bilderbuchsegeln in Büllerbü

Montag Morgen gegen vier Uhr, ich döse gerade im Halbschlaf meiner dreistündigen Freiwache, als Annette verkündet: „Ich sehe Land“. Voraus liegt „Öja“. Eine langgezogene Insel der äußeren schwedischen Schären, südlich von Stockholm. Der Blick auf die Karte zeigt ganz viele kleine Steine und ein paar, eher wenige, Seezeichen, die zum überwiegenden Teil aus Kardinalen bestehen. Ansonsten gibt es noch ein Leuchtfeuer und andere Landmarken. Die schwedischen Karten zum Schärengebiet, die wir auf unserem Umweg nach Riga in Karlskrona gekauft hatten, zeigen so viele kleine Punkte, dass ich keine Vorstellung habe, wie man hier, vielleicht noch mit viel Wind, Seegang  und schlechter Sicht, durchkommen kann, ohne an den einen oder anderen Stein zu stoßen. Auch hier gilt Annettes Regel aus dem Straßenverkehr: „Du darfst nichts berühren“. Die Karte zeigt ganz in der Nähe eine kleine Ankerbucht. Wir machen zur Sicherheit ein paar größere Schlenker um nichts zu berühren und finden, nachdem wir uns geeinigt haben, welche Kardinale (schwarz-gelbes Seezeichen, das vor einem Hindernis warnt) wo hingehört, auch die kleine Bucht. Die kleine Bucht ist komplett voll und ein Hafen. Kurz nachdem wir uns in eine letzte kleine Spalte gequetscht haben legen die meisten Boote ab und der Hafen leert sich, bzw. die nächsten Boote kommen. Wir hatten zwar schon davon gehört, dass zur Ferienzeit in Schweden auf dem Wasser alles unterwegs ist, aber bereits am Vormittag einen Platz für die nächste Nacht zu sichern, finden wir doch ein wenig übertrieben. Für den nächsten Tag haben wir uns mit Freunden in einer richtigen Ankerbucht verabredet und segeln das erste Mal durch den mittleren Schärengürtel. 

Die Karten sind gut. Jeder Stein ist eingezeichnet. Um das Ganze noch lesbar zu machen, ist der Maßstab sehr klein, d.h. die Entfernungen, die wir sonst von unseren Karten gewohnt sind, sind jetzt viel kleiner. Ständig muss man umblättern, bzw. die passende Anschlusskarte finden und ungewohnt schnell befindet man sich im nächsten Steinhaufen. Die Logge springt dann ganz unvermittelt von 30 Meter Tiefe auf 3 Meter und an Bord ist Hektik angesagt. Mangels Kartenplotter „plottet“ einer von uns mit dem Kursdreieck auf der Karte mit und der Steuermann versucht die einzelnen Steinhaufen der Kartenabbildung zuzuordnen. So kommen wir gut voran und können erfolgreich alle Hindernisse umrunden. 

Wir haben uns mit Gisela und Philippe in einer Bucht namens „Östermarsfladen“ auf der Insel Nattarö verabredet und treffen sie da nach einem Bilderbuchsegeltag durch eine Astrid – Lindgren – Landschaft. Auch diese Bucht ist gut besucht und der Anker fällt an einem freien Platz. Da alles noch ein bisschen besser geht, legen wir noch zwei mal um und liegen am Ende wieder an unserem ersten Ankerplatz. Aber nur kurz. In der Nacht höre ich auf einmal eine Art Windspiel. Ganz nah. Wir haben aber kein Windspiel an Bord. Ein kurzer Blick durch das kleine Fenster über der Koje zeigt direkt neben uns einen ganz großen Bug. Alle Mann raus Motor an und erst mal weg. An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass im Laufe des Abends der Wind immer mehr zugenommen hatte bzw, heftige Böen über die Bucht gezogen sind. Das ist kein Grund, dass der Anker slippt, aber an unserem Anker ist eine kleiner Ankerball an einer ca. 8 Meter langen Leine befestigt. Die Ankertiefe beträgt 10 Meter und der Ankerball zieht am Bügel des Ankers diesen wieder nach oben. Wir haben nur 30 Meter Kette an Bord, aber da wir sonst nicht in dieser Tiefe ankern, war das bisher kein Problem. Meine Bedenken in dieser Hinsicht, die ich hatte, als der Ball unterging, hatte ich mit einem „wird schon gutgehen“ beiseite geschoben. Drei Mal den Anker mit 30 Metern Kette per Hand hochzuholen und wieder zu versenken ist schon Arbeit genug. Nachdem wir in der Nacht wieder zu unserem Ankerplatz zurückgetuckert waren und den Anker mit Ball versenkt hatten, erzählte ich Annette von meiner Ankerball-Auftriebs-Therorie und es fiel der Beschluss: Anker nochmal hoch und Ball ab. Der nächste Morgen begrüßte mich mit Sonnenschein und Muskelkarter. 

 

 

Dieses Gedicht hat Willy Maurer uns geschickt…

…und es hat uns so gut gefallen, dass wir es gerne mit euch teilen wollen

 

Wenn die Kerze nicht mehr glüht
und der Motor Wasser sprüht,
statt uns in den Schlaf zu brummen,
wenn Gespräche leis‘ verstummen
und kein Scherz die Wellen bricht,
dann ist Foffteihn in der Plicht.

Doch wenn Winde uns verweh’n
und wir Flauten übersteh’n,
wird das Seglerleben bunt
mit Gesang und Blaubeermund
eilen wir zum Sängerfest.

Nachts nascht Peter frech den Rest
von der guten Marmelade.
Und im Traum flüstert er „Schade!“,
daß sie jetzt zum Frühstück fehlt.

Dies Schicksal ist doch selbstgewählt!
Kein Grund, sich zu beklagen
an Sommer-Segler-Tagen
in Riga bei den Letten,
den dünnen und den netten.

Hypnotische Landschaften

Über Kap Kolka liegt eine tiefe Ruhe. Roja fühlt sich an, wie ein etwas abgelegener Ort, Kolka, als liege es in einer anderen Dimension. Die Landschaft auf dem Weg hierher ist der Wald. Ein Nadelwald, dessen Boden mit Heidelbeersträuchern bedeckt ist. Durch diesen Wald führt die Straße, auf der der Bus fährt und an der ab und zu eine Haltestelle darauf hinweist, dass in der Nähe Menschen wohnen. Manchmal sind auch Häuser zwischen den Bäumen oder auf Lichtungen zu sehen, oft schöne, alte Holzhäuser. In Kolka steigen mit uns ein paar ältere Damen aus, die in verschiedene Richtungen davon streben und schnell verschwunden sind. Vor dem kleinen Supermarkt sitzt ein vielleicht sechsjähriger Junge mit einer Flasche Cola, der aussieht, als sei er sehr zufrieden mit seinem Kauf. Eine ältere Dame auf einem Fahrrad und ab und zu ein Auto, ansonsten sind wir alleine. Bis zum Kap verdichtet sich die Empfindung von Weite und tiefer Gelassenheit, als atme dieser Ort ganz langsam ein und aus. 

Der Strand am Kap ist wild und leer. Bäume, die im Winter von den Stürmen gefällt werden, bleiben als Küstenschutz auf dem Sand liegen. Bäume, in allen Stadien des Vergehens. Manche tragen noch ihre vertrockneten, rotbraunen Nadeln, andere sind von Sonne und Salz ganz ausgebleicht. Auch wenn es natürlich überall Spuren menschlicher Aktivitäten gibt, von militärischen Gebäuden aus Ex-Sovjetzeiten bis zu Fasssaunen auf dem Sandkliff, bleiben sie vereinzelt in dieser Weite und bestimmen die Landschaft nicht.

An diesem Kap befindet sich der größte Schiffsfriedhof der Ostsee. Bis der Leuchtturm ca. 3 Seemeilen vor dem Kap errichtet wurde, war es, vor allem bei schlechtem Wetter, schwierig, sich zu orientieren und viele Schiffe sind in den Flachs auf Grund gelaufen.

Das Gefühl von Weite nehme ich mit, als wir am nächsten Morgen aufbrechen, um Lettland zu verlassen und um das Kap Kolka herum nach Schweden zu segeln. Es wird eine sehr ruhige Fahrt, nur kurz, am Samstag Abend, von der Sorge vor einem Gewitter beeinflusst – eine Amboss-Wolke, die sich sehr schnell entwickelt und in der es ein paarmal donnert, bevor sie sich, zum Glück, wieder auflöst.

Am Sonntag Abend, nördlich von Gotland, schläft der Wind vollständig ein. Die See wabert nur noch träge, die Konturen lösen sich auf, was ich für Nebel halte ist ein Licht, in dem kein Horizont mehr auszumachen ist, aber die Positionslampen weit entfernter Schiffe gut zu erkennen sind. Und wieder gerate ich, ähnlich wie am Kap Kolka in einen tranceähnlichen Zustand und treibe dahin in diesem Meer von Zeit und Raum, und Licht.

 

Die Finnen kommen

Nach vier Tagen Riga verlassen wir die Stadt. Ein neuer Hafen, eine neue Stadt ist immer wieder spannend, aber nach der ganzen Pflastertretterei wollen wir auch mal wieder segeln. Gestern und letzte Nacht hat es das erste mal auf unserer Reise geregnet. Heute ist wieder bestes Wetter. Im Hafen ist nichts groß los, ein paar Frachter werden von den Hafenkranen mit Kohle vollgeschaufelt, aber auf dem Wasser ist „tote Hose“. Im Hafenfunk auf Kanal 09 hören wir irgendwas auf Russisch, wir aber „nichts verstehen“. 

In Riga gibt es neben dem am Botschaftsviertel gelegenen Stadthafen noch weitere Sportboothäfen. Diese liegen auf der anderen Flussseite und der Weg in die Innenstadt ist deutlich weiter. Wie im Stadthafen ist auch hier nur die Hälfte der vorhandenen Plätze belegt. 

Ansonsten wird im Industriehafen fleißig gebaut. Auf einer endlos scheinenden Fläche entsteht ein gigantisches Containerterminal. Die Fahrt durch den Hafen dauert ca. eine Stunde. 

Genau in der Hafenausfahrt kommt dann großes Schiff von hinten, hat sich von uns unbemerkt angeschlichen und ist auf einmal da. Großes Schiff vorbei – und dann kommt gleich eine Fähre rein. 

Ansonsten ist heute Schönwettersegeln mit halben Wind angesagt. Erst noch mit Genua, dann unter Fock. Tagesziel ist Roja. Zum Einen haben wir noch etwas Zeit bis wir Leander in Stockholm treffen und zum Anderen wollen wir noch ein paar andere Ecken von Lettland sehen. Tipp von meiner Mutter – Kap Kolka, um das wir vor ein paar Tagen nächtens herumgekurft sind, müsst ihr unbedingt sehen. Bei dem nordwestlichen Winden standen in der Rigaer Bucht noch die Häfen Kuivizi und Salacgriva. Da wir von keinem der Häfen eine Beschreibung haben entscheidet das Luftbild aus dem Internet ganz klar für Roja. Kleiner Fischerhafen mit Anleger im örtlichen Segelverein und Einkaufsmöglichkeit über die Straße. Im Vorhafen bin ich mir dann doch wieder unsicher. Überall gestapeltes Rundholz, mittelgroße Fischerkähne und kein einziger Mast. Einmal um die Ecke ist alles wieder gut. Ganz hinten vor einer flachen Brücke gibt es Fingerstege vor einer gemähten Rasenfläche mit rotem Häuschen drauf. Wie in Schweden. Komplettes Kontrastprogramm zu Riga, wo am Hafen eine gut befahrene Straße vorbeiführt und noch ein Rangierbahnhof endet, der jeden Tag bespielt wird. 

Am nächsten Morgen begrüßt uns ein sehr freundlicher Hafenmeister, erklärt, wo die Toiletten und Duschen sind und wo man sich am besten zum WiFi- Empfang hinsetzt. Ansonsten ist Rola ein größeres Straßendorf, wo es alles gibt was der Segler so braucht. Die Tanke liegt jedoch über 1,5 km entfernt. Schöner kleiner Spaziergang – immer an der Hauptstraße entlang. 

Als wir nach drei Tagen zahlen gibt es auch noch einen kleinen Rabatt. Ab dem dritten Tag reduziert sich die Liegegebühr auf die Hälfte. Der Hafenmeister ist dann auch ganz traurig, dass wir doch abfahren und das am Tag des großen Fischerfestes, für das seit Tagen schon die Vorbereitungen laufen. 

Entgegen unserer nächtlichen Anfahrt nach Riga, wo es von Frachtern, Fähren und Kreuzfahrtschiffen nur so wimmelte, ist heute praktisch keiner unterwegs. Im AIS sind sechs bis sieben finnische Segelyachten zu sehen, die sich noch hinter dem Horizont befinden. Auf einmal, Annette ist am Steuer und meldet: Der ganze Horizont ist voller Segel. Und tatsächlich, um die paar Yachten mit AIS tummeln sich 30-40 Yachten. Teilweise nebeneinander, hauptsächlich hintereinander, wie an einer Perlenschnur kommen uns über zwei Stunden finnische Yachten entgegen. Alle auf dem Weg nach Riga. Da wird sich der Hafenmeister freuen. Mit dem was uns entgegen kommt dürften alle Hafenplätze in allen Rigaer Häfen gefüllt werden. Zuerst vermuten wir, dass es um eine Regatta handelt, aber wahrscheinlicher ist, dass in Finnland die Ferien begonnen haben.

welch ein Singen, Jubiliern…

Mit der Verzögerung durch das Motorproblem hatte ich die Hoffnung, rechtzeitig zum Sängerfest oder wenigstens zum großen Abschlusskonzert in Riga zu sein, schon begraben. Jetzt waren wir doch am 7. Juli, einem Samstag angekommen und die große Abschlussnacht fand nicht an diesem Samstag, sonder erst am 8. Juli, also am Sonntag statt, sogar noch ein Tag Zeit, uns ein bisschen auszuruhen. Und nun stehen wir vor der Frau in der Touristeninformation und die lächelt auf die Frage nach Tickets nur müde: Seit Wochen ausverkauft, restlos ausverkauft, das Konzert und die Sing-Along-Night. Wir könnten einfach hinfahren, es gäbe immer Leute, die Karten aufkauften und dann zu Wucherpreisen anböten. Sie fände das furchtbar, aber so sei es eben. Dieses Sängerfest findet alle fünf Jahre statt und gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. In diesem Jahr fällt es mit den Feierlichkeiten zu 100 Jahre Unabhängigkeit Lettlands zusammen und ist deshalb vielleicht noch größer oder intensiver, das weiß ich nicht, aber jetzt haben wir es geschafft, trotz aller Widrigkeiten rechtzeitig hier zu sein und kommen nicht rein, was für eine Enttäuschung. 

Bei unserem abendlichen Altstadtspaziergang sehe ich die Ankündigung eines deutschsprachigen Gottesdienstes einer deutschen Gemeinde, am Sonntagmorgen, in einem Saal am Kreuzgang des Doms. Interessant und vielleicht eine Gelegenheit, mit Leuten aus Riga zu sprechen und etwas über das Leben hier zu erfahren. Von der Gemeinde lerne ich dann beim Kaffeetrinken nach dem Gottesdienst zwar niemanden kennen, aber dafür zwei Menschen, die wegen des Sängerfestes nach Riga gekommen sind. Und die haben gestern bei der Generalprobe beschlossen, dass sie heute zum Abschlusskonzert gehen wollen, ihnen die anschließende Sing-Along-Night aber zuviel wird. Ich kann ihre Karten dafür haben. Yippeee!!!

Nach einer Fahrradtour durch das Jugendstil-Viertel am Nachmittag, einem ausgiebigen Abendessen und nachdem wir uns warm angezogen haben, machen wir uns gegen 22.30 Uhr auf zur Freilichtbühne Mezaparks – in einer Straßenbahn, die im Laufe der Fahrt so voll wird, dass Menschen laut gegen das Gequetscht-Werden protestieren. Aber die Stimmung bleibt gut. 

Die Bahn hält offensichtlich vor der eigentlichen Haltestelle, denn zunächst will niemand aussteigen. Dann verlassen die ersten den Wagen und nach und nach folgen alle anderen. Als wir ‘rauskommen sehen wir, dass vor unserer Bahn ungefähr 20 genauso aussehende Bahnen auf den Schienen stehen, aus denen genauso viele Leute gekommen sind, die jetzt alle in Richtung Park wandern. 

An dem breiten Weg, der im Park zur Freilichtbühne führt, wehen überall lettische Fahnen. Eine Menschenmenge strebt in Richtung Eingang, dabei ist das Abschlusskonzert schon im Gange, Chorgesang weht herüber, viele Tausend Stimmen sind zu hören, elektrisch verstärkt zwar, aber trotzdem ein ganz eigener Klang. Wir stellen uns in die Schlange am Eingang. Obwohl das Abschlusskonzert noch nicht zu Ende ist, werden wir schon hineingelassen. Peter sieht sich aus Langeweile das Ticket genauer an. Darauf steht: Man muss sich ausweisen können (er hat seinen Ausweis auf Rith gelassen) Es sind keine Fotoaufnahmen und demzufolge auch keine Fotoapparate erlaubt (haben wir eingepackt). Und es dürfen keine Flüssigkeiten mitgebracht werden (wir haben uns gegen den kalten Wind eine Thermoskanne mit Tee mitgebracht). Heißt das jetzt, dass Peter nicht ‘reingelassen wird? Dass er zurück fahren und seinen Ausweis holen muss? Wir sehen, dass die Taschen der Besucher kontrolliert werden, Vorbeischummeln wird nicht klappen. Aber wieder haben wir Glück. Der Tee wird beanstandet, muss ausgekippt werden, den Fotoapparat ertastet der Sicherheitsmann, lässt ihn aber durchgehen und einen Ausweis will er auch nicht sehen. Drinnen suchen wir uns einen Platz auf den Rängen, kommen in einer Gruppe hinter den ansteigenden Sitzreihen zu stehen. Sehen kann ich immer nur durch eine kleine Lücke, aber was ich sehe, kann ich kaum fassen. Die Bühnenhälfte der Arena ist von einem Teppich aus Menschen, alle in hellen Trachten, bedeckt. Alle singen. Irgendwo unten ist eine Bühne, das Zentrum des Geschehens. Von hier aus wird moderiert und werden die Stücke angesagt, die dann von einer Gruppe, die auf die Bühne kommt, vorgetragen werden. Auf einem Podest mit Treppe davor steht der Dirigent. Details werden auf Leinwände links und rechts der Bühnenhälfte übertragen. Wenn ich es recht verstehe, hat jeder Chor, der auf die Bühne kommt ein Stück, an dem sich aber auch die große Menge beteiligt. Es gibt auch Solopartien und wohl auch Tänze, aber die finden so weit unten statt, dass ich sie nicht sehen kann. Überwältigend diese schiere Menge der Akteure. Überwältigend aber wohl auch die Lieder. Rund um uns wird mitgesungen und Männern, die neben mir stehen, laufen die Tränen übers Gesicht, manche schniefen laut. 

Die Sing-Along-Night ist dieser Intensität gegenüber ein bisschen enttäuschend. Ich hatte mir vorgestellt, dass es um das gemeinsame Singen gehen und es zwar eine Anleitung oder ein Vor-Singen von der Bühne aus geben würde, aber die Verstärkung so weit heruntergefahren würde, dass sich alle gegenseitig würden hören können. Stattdessen ist es so, als ginge das Konzert weiter, die Protagonisten des Abschlusskonzerts treten noch einmal auf, nur dass jetzt über der Bühnenseite der Text eingeblendet wird und wenn man will, kann man mitsingen. Es entsteht aber kein gemeinsames Singen. Es ist eher wie die Party nach der großen Veranstaltung. Leute treffen sich, reden miteinander, Menschen in Trachten und mit Blumenkränzen (die meisten Frauen) oder Kränzen aus Eichenlaub (manche Männer) mischen sich unters Publikum. Eine besondere Fröhlichkeit entsteht dann doch noch, als Tänze gespielt werden, die offensichtlich von einem Großteil der Anwesenden beherrscht werden, denn überall, vor der Bühne und auf den Gängen zwischen den Bankreihen wird auf einmal getanzt. Das schauen wir uns noch an, bevor wir gegen halb vier Uhr morgens den Heimweg antreten. Die Straßenbahnen transportieren die ganze Nacht über Menschen, inzwischen hauptsächlich von Mezaparks zurück in die Stadt. Wieder sind sie gut gefüllt, aber die Fahrgäste sind schweigsamer als auf der Hinfahrt und die Blumenkränze der Frauen lassen die Blüten hängen.

Bis 0,5m Welle gibt es warmes Essen – Die Tour von Karlskrona bis Riga

Drei Tage und zwei Nächte ununterbrochen unterwegs – das ist der persönliche Rekord unseres bisherigen Seglerlebens. Spannend war zum einen die Frage: wie entwickelt sich das Wetter und zum anderen: wie kommen wir damit zurecht, immer nur in Häppchen von höchstens zweieinhalb Stunden zu schlafen, denn wenn eine schläft, muss einer steuern und umgekehrt. Eigenhändig steuern und nicht nur in der Plicht sitzen und aufpassen. Wir haben zwar inzwischen einen elektrischen Autopiloten, dessen Kompass kommt aber mit seinem Einsatz auf einem Stahlschiff nicht klar und so wurde aus dem Traum als «Wache-Habende» in der Plicht sitzen und lesen zu können und nur ab und zu mal rundherum zu schauen, ob noch alles in Ordnung ist, erstmal nichts. 

Das Wetter war uns gewogen – manchmal ein bisschen zu sehr, sodass wir zwischen Gotland und Lettland stundenlang motoren mussten, weil überhaupt kein Wind war. Ein bisschen blöd, wenn man versucht möglichst viel Schlaf zu bekommen und es im Salon ziemlich laut ist, weil der Motor läuft. Mit Ohrstöpseln und der nötigen Müdigkeit geht aber auch das. Dafür konnten wir unterwegs kochen, was sonst, bei zu viel Seegang problematisch ist, weil unser Kocher erstens nicht kardanisch aufgehängt ist und so nicht in die Waagerechte schwingen kann, wenn sich Rith auf die Seite legt und zweitens müssen die Brenner mit einer Spiritusflamme vorgewärmt werden, damit das Petroleum sich in einen gasförmigen Zustand begibt, wenn es den Zulauf verlässt. Diese Spiritusflamme wird gerne mal 30 bis 40 cm hoch und die Vorstellung, dass so eine Flamme wild in der Gegend herumzüngelt, weil der Kocher, aus dem sie kommt, die ganze Zeit wackelt, macht mir Angst.

Als Wachsystem haben wir diesmal tagsüber Ablösung nach 4 Stunden und nachts nach 3 Stunden ausprobiert. Das hat ganz gut funktioniert und den Vorteil, dass es eine Abwechslung in den jeweiligen Zeiten ergibt, sodass nicht immer eine oder einer die unangenehmen Zeiten erwischt. Mit 3 Häppchen Schlaf über den Tag verteilt ließ es sich – bei den recht ruhigen Segelbedingungen – ganz gut leben. Bei Regen und viel Wind sieht die Sache sicher anders aus, aber zum Ausprobieren war das erstmal eine gute Erfahrung.

Am Abend des dritten Tages hatten wir dann Ventspils in Lettland erreicht. Eigentlich waren die Wetterbedingungen so, dass es sich angeboten hätte, gleich weiter zu fahren, aber durch die langen Motorstrecken ging der Diesel zur Neige und ohne genug Diesel wollten wir nicht in die Rigaer Bucht, die den Ruf hat, wettermäßig kapriziös sein zu können.

Diesel allerdings ist im Hafen von Ventspils weit und breit nicht zu bekommen. Darauf hat sich der Hafenmeister eingestellt und bietet auf Nachfrage einen Taxi-Service zur Tankstelle samt Nutzung seiner Kanister für 10 Euro an. So mit allem versehen konnten wir mittags weiter. Diesmal bei gutem Wind. Um das Kap Kolka herum dann jede Menge Verkehr – Kreuzfahrtschiffe, Frachtschiffe, Fähren, die in die Bucht hinein oder heraus fahren. Wir als kleiner Krümel von Yacht dazwischen. Um das Kap herum waren wir beide damit beschäftigt, zu steuern, zu navigieren, auf dem AIS zu schauen, welche Schiffe um uns herum was machen und ob wir ihnen ausweichen müssen und wenn ja, wohin. An Schlaf war nicht zu denken und dieses eine, nicht bekommene Schlafhäppchen fehlte dann die ganze restliche Nacht. Eine Nacht, die abgesehen davon aber wieder ganz bezaubernd war. Es wird nämlich hier nachts nicht dunkel. Wenn die Sonne gegen halb elf Ortszeit untergegangen ist, hinterlässt sie am Horizont ein intensiv orangefarbenes Leuchten. Darüber ist der Himmel hell, von der nicht mehr sichtbaren Sonne angestrahlt. Gegenüber, im Südosten verschwimmen Himmel und Wasser zu einem trostlosen Dunkelgrau. Dieser orangefarbene Streifen mit der Helligkeit darüber wandert dann langsam von Nordwesten nach Nordosten und irgendwann, so gegen vier oder halb fünf erscheint darin die Sonne wieder. 

In der Rigaer Bucht flaute der Wind, der bisher mit vier bis fünf Windstärken geblasen hatte, ab und kam genau von hinten. Nach einigem Herumprobieren entschieden wir uns dafür, Großsegel und Fock zu bergen und die Genua (ein großes Vorsegel, das bei leichtem Wind benutzt wird) zu setzen. Bei diesem Kurs muss man aufpassen, weil die Wellen das Heck jedesmal versetzen und das Schiff dann gerne aus dem Ruder läuft. Lästig, wenn man vor allem eins ist: müde.

Und dann tauchte auf einmal im Osten ein dicker, rot leuchtender Klecks auf. Was ist das? Woher kommt es? Wird es nett zu mir sein? Ups, schon wieder mit den Gedanken weggedriftet und nicht geguckt, wohin ich lenke. Rith legt sich auf die Seite und die Genua fällt in sich zusammen und fängt an zu schlagen. Mist. Eine Wolke zieht weiter und der Fleck entpuppt sich als ein tiefroter «Nicht-mehr-ganz-Halbmond» Die Zeit dehnt sich und ich kämpfe gegen den Schlaf. Irgendwann sind aus den vielen einzelnen Minuten 3 Stunden geworden und ich kann Peter wecken, eine Eintragung ins Logbuch machen, die Zähne putzen und für zweieinhalb Stunden in die Koje kriechen. 

In der Einfahrt zum Rigaer Hafen haben wir es dann nochmal mit den einlaufenden Frachtschiffen, einem frischen Wind und höheren Wellen zu tun. Alles nicht so schlimm, wir sind fast da. «Fast» erweist sich als zwei Motorstunden durch den Hafen vom Yachthafen in der Innenstadt entfernt. Aber die Sonne scheint, es ist wenig Verkehr und wir freuen uns, unser Ziel erreicht zu haben.